Donnerstag, 11. Juli 2019

Neon Genesis Evangelion - Anime Revolution oder überhyped?


Neon Genesis Evangelion (kurz NGE, oder EVA) ist seit kurzem auf Netflix und nachdem ich einem Bekannten EVA als beste Anime Serie ever empfohlen hatte, hab ich mir das ganze selber auch mal wieder angesehen und ja, ich finde weiterhin, es ist eine der besten Anime Serien überhaupt, wenn nicht wirklich die beste.

Um meine Aussage zu untermauern, will ich daher mal etwas näher auf die Serie eingehen. Dabei ist zu beachten, dass es insgesamt 3 (oder 4, je nachdem wie man es sieht) kanonische Varianten der Serie gibt:

VHS Cover
* Die 26-teilige Original-Serie, die 1995 in Japan erstmalig ausgestrahlt wurde.
* Die beiden 1997 erschienen Kinofilme Death and Rebirth (bzw. dessen neue Schnittfassung Death (true)² und End of Evangelion.
* Der 14 Bände umfassende Manga, der von 1994 bis 2014 erschienen ist.
* Die 4-teilige Rebuild-Filmreihe, deren erste drei Teile jeweils 2007, 2009, 2012 erschienen sind und deren letzter Teil 2020 kommen soll.

Die 1997er Kinofilme gehören für viele dabei zur Serie, da Death and Rebirth nur eine Zusammenfassung der Episoden 1 - 24 darstellt und End of Evangelion lediglich eine Erzählung aus anderem Blickwinkel der Ereignisse von Episode 25 und 26 ist. Da die Unterschiede zur Original-Serie aber sehr gravierend sind, wird es von manchen Fans als alternatives Ende angesehen.

Logo der Serie
Die Original-Serie wurde von Hideaki Anno und Studio Gainax geschaffen, als Charakter-Designer fungierte Yoshiyuki Sadamoto, der auch für den Manga verantworlich war.
Studio Gainax hatte schon vor NGE einige bekanntere Werke wie Gunbuster, oder Nadia - The Secret of Blue Water (im deutschsprachigen Raum auch als Die Macht des Zaubersteins bekannt), befand sich jedoch zum Zeitpunkt der Entwicklung von NGE in einer finanziellen Krise. NGE stellte sich dabei allerdings als so erfolgreich heraus, dass Gainax heute zu den bedeutensten Studios in Japan gehört.

Manga Cover
Doch wieso wurde NGE überhaupt, vor allem in Japan, so ein Erfolg? Ich denke ein Punkt darin ist, dass wohl selbst niemand an den Erfolg geglaubt hatte und die Serie daher sich einfach entwickeln konnte.
Falls sich übrigens jemand wundert, warum ich speziell auf die TV-Serie eingehe und nicht den Manga als das Original erwähne, dann liegt das daran, weil es tatsächlich nicht so war. Für gewöhnlich gibt es einen erfolgreichen Manga, der dann als Anime-Serie adaptiert wird. Häufig mit weniger tiefgründiger Handlung und vielen Filler-Episoden, bei NGE war das anders, denn hier war der Anime zuerst und der Manga folgte darauf. Dass der erste Manga Band schon vor der Ausstrahlung der ersten Episode erschien, ist der Tatsache geschuldet, dass es etwas dauerte bis ein TV Sender die Serie ins Programm genommen hat.
Jedenfalls, dadurch, dass die Serie zuerst da war und sich einfach frei entwickeln konnte ist einer der Punkte, der die Serie von anderen Serien abgehoben hat.
Sieht wie ein typischer Mecha-Anime aus
Während die erste Hälfte der Serie eher ein typischer Mecha-Anime ist, wandelt sich die Serie später zu einer Psychoanalyse der handelenden Charaktere, die auch viele philosophische und psychoanalytische Themen wie Schopenhauers Stachelschwein-Dilemma, Isolation, Coming-of-Age, oder den Ödipus-Komplex behandelt (wobei ich mir hier unsicher bin, worauf ich später aber noch eingehe).
Hintergrund hierfür ist wohl auch Anno's Depression unter der er litt und die er u.a. in der Serie verarbeitete.

Ich will im folgenden nur kurz auf die Geschichte eingehen, da ich nicht großartig spoilern will. Wer mehr über den Plot wissen will, dem/der empfehle ich den Wikipedia-Artikel zur Serie.

Lilith am Kreuz
Die Geschichte dreht sich um den Kampf der Menschheit gegen Engel genannte Wesen. Dabei nimmt die Serie vor allem viele Bezüge aus christlicher und jüdischer Mythologie auf und erzählt die Geschichte, wie nach dem Kontakt mit dem ersten Engel Adam am Südpol, der sogenannte Second Impact ausgelöst wurde, eine Naturkatastrophe, die die Polarkappen schmelzen lies und die Hälfte der Menschheit auslöschte. Daraufhin gründete die Geheimorganisation SEELE (viele Begriffe in NGE sind deutschsprachig), deren Unterorganisation NERV um die daraufhin angreifenden Kinder Adam's, die Engel, aufzuhalten. Dazu nutzen sie aus Adam und Lilith (der Mutter aller Menschen) geklonte riesige humanoide Wesen namens Evangelion, oder kurz EVA, die in einem Vollkörperpanzer sind. Diese werden durch Piloten, sogenannte Children, kontrolliert, die sich über einem Entry Plug in den EVAs befinden und steuern. Die Piloten sind dabei immer exakt 14 Jahre.
Im Laufe der Serie gibt es noch einige Wendungen und die verschiedenen Figuren haben teilweise ganz eigenen Motive weswegen sie handeln und wie sie handeln und teilweise gibt es auch einige Plottwists und ich muss zugeben, dass ich lange Zeit gebraucht habe, um die Serie komplett zu verstehen, was jedoch der Faszination schon vom ersten Moment an, keinen Abbruch tat.

Engel Vs. Evangelion
Denn wie gesagt, während die ersten Folgen noch im Prinzp dem "Monster of the Week" Muster entsprachen, wo ein neuer Engel auftauchte und die drei Protagonisten Shinji Ikari, Rei Ayanami und Asuka Sōryū Langley, diesen in ihren EVAs bekämpften, wandelte sich die Serie ab der Mitte stark und nicht nur gab es eben diese Plottwists, die vieles auf den Kopf stellten, auch wurde mehr auf die Psyche der Charaktere eingegangen und so gut wie alle Charaktere, vor allem aber die drei Protagonisten, sind im Prinzip total kaputt. Shinji und Asuka haben beide ihre Mütter bereits im Kindesalter verloren, was diese extrem traumatisiert hat. Während Asuka ihre Gefühle und Verletzlichkeit mit einem überspielten Selbstbewusstsein und Extrovertiertheit versucht zu kompensieren, ist Shinji hingegen ein in sich gekehrter, schüchterner Junge, den die ganze Situation überfordert und der noch dazu unter dem sehr schlechten Verhältnis zu seinem Vater, dem Kommandanten von NERV, leidet, der ihn nach dem Tod der Mutter zu Onkel und Tante gegeben hat und augescheinlich keinerlei Liebe zu seinem Sohn empfindet. Rei ist ebenfalls sehr introvertiert und öffnet sich anfangs nur Shinjis Vater gegenüber, der auch ihr viel freundlicher gesonnen scheint, als seinem eigenen Sohn.
Asuka, Shinji und Rei
Ein Charakter wie Rei, der seiner ganzen Umwelt gegenüber verschlossen ist und scheinbar keine Gefühle besitzt, ist vor NGE noch in keinem Werk aufgetreten und stellt somit eine völlige Neuschöpfung dar. Sog. Rei-Type Charaktere tauchten im Nachhinein dann in vielen anderen Produktionen auf.
Doch selbst Charaktere, die Anfangs so wirken, als würden sie auf ihr Leben klarkommen, stellen sich schnell als seelische Wracks dar, wie z.B. Major Misato Katsuragi, die ihre Probleme primär in Sex und Alkohol ertränkt.

Die letzten beiden Folgen der Serie sind dann nochmal ein kompletter Cut und zeigen nur noch Shinji's innere Gedankenwelt.

Aber gerade diese Mischung aus Action und gleichzeitig tiefgründigen Charakteren war es, was den Erfolg der Serie ausmachte, was Hideaki Anno selbst verwunderte, der dazu sagte:
"Es ist seltsam, dass Evangelion so ein Erfolg wurde – alle Charaktere sind so krank!"

End of Evangelion
Da die letzten beiden Folgen jedoch zuviele Fans verwirrte, kamen dann 1997 eben die beiden erwähnten Kinofilme. Death and Rebirth ist dabei wie gesagt nur ein Zusammenschnitt mit ein paar neuen Szenen der Folgen 1 - 24. Die überarbeitete Version Death (true)² ist größtenteils inhaltsgleich und entfernte nur die neuen Szenen wieder.
Interessant ist daher End of Evangelion, der nochmal zeigte, was alles in der realen Welt passierte, um den Fans nochmal ein befriedigerendes Ende zu geben. Man kann es als neue Version des Endes ansehen, oder einfach nur als das, was nicht in Shinji's Kopf stattfindet. Das muss man für mich selber entscheiden. Für mich gehört der Film zur Serie dazu und ich finde, man sollte sowohl die letzten beiden Episoden der Serie, als auch den Film gesehen haben.

Wahrscheinlich ging aus meinem Text nun gar nicht hervor, was so gut an der Serie ist, weswegen ich einfach nur empfehlen kann, sich das ganze mal auf Netflix anzusehen. Aber bitte auf japanisch. Nix gegen die deutsche Synchro, die ist wirklich gut, aber japanisch mit Untertiteln ist einfach nochmal eine ganz andere Stimmung.

Soweit so gut, das ist tatsächlich das Evangelion was man meiner Meinung nach als erstes sehen sollte, aber was hat es mit dem Manga und den Rebuild Filmen auf sich?

Shinji's Gedankenwelt
Der Manga folgt im Grundplot im großen und ganzen der Handlung des Animes, nimmt sich jedoch seine Freiheiten heraus, vor allem was das Verhältnis und die Darstellung der Charaktere angeht. Sie sind keinesfalls verändert, sondern immer noch die selben Figuren wie im Anime, aber agieren teilweise anders. Vor allem bei Rei macht sich dies stark bemerkbar, die im Manga viel offener als im Anime ist. Ebenfalls Kaworu Nagisa (der später als weiterer EVA-Pilot zur Handlung stößt) ist hier eine ganze Ecke anders, als noch seine Anime-Version, deutlich unfreundlicher und forscher und auch das Ende des Manga unterscheidet sich deutlich vom Anime-Ending.
Ich sehe beide Versionen jedoch als vollkommen gleichwertig an. Wer nicht lesefaul ist, sollte sich daher auch den Manga zu Gemüte führen.

Der neue Charakter Mari in Rebuild
Und schließlich erscheinen seit 2007 die Rebuild Filme. Die Filme tragen dabei den Titel Evangelion: 1.0 - You Are (Not) Alone, Evangelion: 2.0 - You Can (Not) Advance und Evangelion: 3.0 - You Can (Not) Redo, wobei alle drei Filme eine überarbeitete Version in der Heimveröffentlichung haben, die dann jeweils die Titel 1.11, 2.22 und 3.33 tragen. Der letzte Teil, der 2020 erscheinen soll, soll dabei den Titel Evangelion: 3.0 + 1.0 (Shin Evangelion Gekijōban 𝄇) erhalten.
Laut Anno ist "Evangelion alt, aber seitdem gab es keinen neueren Anime." Er will Evangelion einem neuen Publikum nahebringen und eine neue Sicht auf die Welt hervorrufen.
Die Rebuild Filme erzählen die Geschichte erneut im groben Grundplot gleich, jedoch unterscheidet sich spätestens ab 3.0/3.33 die Geschichte sehr von Original-Serie und Manga. Auch werden komplett neue Figuren eingeführt.
Da der letzte Teil noch nicht erschienen ist, kann ich keine abschließende Meinung dazu abgeben, finde die Rebuild Filme bisher aber ziemlich gut und kann mir vorstellen, dass viele durch die Rebuild Filme einen leichteren Zugang zu NGE entwickeln, als noch durch die Serie, oder den Manga. Sowohl durch die modernere Technik wie die Filme produziert wurden, als auch, da die Handlung nachvollziehbarer ist.
Trotzdem würde ich abraten direkt mit den Rebuild Filmen zu starten.

Unkanonische Variante
Neben diesen kanonischen Varianten der Geschichte gibt es noch viele Spin-Offs, auf die ich jedoch nicht weiter eingehen will, da sie wie gesagt nicht Kanon sind.

Aber wie kann es sein, dass drei verschiedenen Varianten einer Geschichte gleichbedeutend gültig sind?

Das ist eine gute Frage, aber hierzu habe ich eine ziemlich nachvollziehbare Theorie gehört, für die ich jedoch doch noch spoilern muss, weswegen Leute, die die Serie nicht kennen, ab hier aufhören sollten zu lesen.

Laut dieser Theorie stellt jede Version der Geschichte den Neubeginn der Menschheit dar, wie es sich Shinji zuvor gewünscht hat.
Der Manga ist dabei die erste Variante, die Serie die zweite und die Rebuild Reihe die dritte Variante.
Shinji und Kaworu
Dies wird u.a. durch die Figur Kaworu's untermauert, der im Manga noch sehr entmenschlicht und kalt wirkt und Dinge wie Freundschaft gar nicht versteht, aber dennoch unbedingt will, dass Shinji sein Freund wird. In der Original-Serie dann ist Kaworu sehr viel sanfter und enfühlsamer. Seine Obsession für Shinji ist immer noch da, doch dieses mal scheint es so, als scheine er ihn schon seit Ewigkeiten zu kennen und weiß auch, was Freundschaft ist. Da Kaworu ebenfalls ein Engel ist, ist es dabei möglich, dass er einer der wenigen ist, der Erinnerungen an die Ereignisse vor dem Third Impact hat.
Bei Rebuild hingegen sagt Kaworu sogar direkt, bevor er Shinji zum ersten mal sieht, dass er sich freut, ihn wiederzusehen. Ebenfalls ist das Wasser in Rebuild rot, statt blau, was zum Ende von End von Evangelion passt, wo das Meer sich ebenfalls rot verfärbt hat.
Shinji weist Rei's Klon wieder zurück
Die Theorie besagt also, dass Shinji sich mehr, oder weniger jedes mal eine neue Chance wünscht, sich aber nie daran erinnern kann. Dazu passt auch, dass in jeder Variante Rei sich irgendwann gegenüber Shinji öffnet und es scheint, dass beide starke Gefühle für einander hegen, Rei jedoch auch in jeder Variante schließlich stirbt und durch einen Klon ersetzt wird. Shinji ist jedes mal stark traumatisiert, dass er Rei nicht retten konnte und obwohl sich letztendlich ihr Klon mit ihm vereinigen will, lehnt er dies jedes mal ab, da er wohl seine Rei retten will.

Shinji und Asuka
Und speziell mit der Beziehung Rei und Shinji komme ich dann nochmal zum weiter oben erwähnten Ödipus-Komplex.
Die Hauptfiguren sind alle im Alter von 14 Jahren, wobei Kaworu wohl bereits 15 ist, was etwas im Widerspruch dazu steht, dass nur 14jährige die EVAs steuern können.
Aufgrund dessen behandelt die Serie aber auch das Erwachsenwerden der Figuren, die sich aufgrund ihres Alters mitten in der Pubertät befinden, was sich am Dreiecksverhältnis zwischen Shinji, Asuka und Rei zeigt. So scheint sich Shinji sowohl zu Asuka, als auch zu Rei hingezogen zu fühlen. Wobei es bei Asuka wohl primär aufgrund der Köperlichkeit ist, wie man auch an der Szene sieht, als Shinji, nachdem er Asuka's nackte Brust sieht, masturbiert. Asuka scheint sich ebenfalls zu Shinji hingezogen zu fühlen, zeigt dies jedoch nie direkt, da sie ihre Gefühle wie bereits erwähnt größtenteils unter ihrer harten Schale verbirgt. Trotzdem bemerkt man daher auch eine gewisse Abneigung zwischen Asuka und Rei.
Asuka beim Versuch Rei zu schlagen
Rei ist Anfangs noch abweisend gegenüber Shinji, öffnet sich diesem jedoch mehr und mehr und scheint zum Schluss ebenfalls Gefühle für Shinji zu haben, was vor allem im Manga und den Rebuild Filmen sehr offensichtlich ist. Rei ist jedoch ein Klon aus der DNA von Shinji's Mutter und Lilith, weswegen hier manche den Ödipus-Komplex vermuten, da Shinji um die Gunst von Rei gegenüber seinem Vater kämpft.
Ich habe dies jedoch nie so wahrgenommen, da Rei zum einen kein exakter Klon seiner Mutter ist, sondern eher als seine Halbschwester betrachtet werden könnte, zum anderen Shinji Rei ja erst mit 14 als gleichaltrige kennen lernt, von der er nicht weiß, dass sie z.T. aus seiner Mutter geklont wurde.
Shinji rettet vermeintlich Rei
Dies bringt natürlich immer noch einen gewissen inzestuösen Faktor hinein, was aber irgendwie auch zur Serie passt.

Ob diese Theorie aber letztendlich stimmt wird vielleicht 3.0 + 1.0 zeigen, oder vielleicht auch nicht und Neon Genesis Evangelion bleibt auch 25 Jahre nach Ihrem Debüt die Serie, die man wohl nie versteht und vielleicht ist das auch gar nicht so schlecht.